Objekt:

 Relief, Kalkstein, 31,5 x 19 x 5,4 cm.

Datierung:

 Ramses II. (1279-1213).

Herkunft:

 Vielleicht Theben.

Sammlung:

 Fribourg, Sammlungen BIBEL+ORIENT, ÄFig 1998.4; Ex-Sammlung Roland Bay.

Darstellung:

 Die rechteckige, oben leicht abgerundete Kalksteinplatte ist beidseitig mit versenktem Relief versehen. Auf der einen Seite ist eine komplette Szene dargestellt: Die ganze Höhe der Bildfläche ausfüllend steht, nacht rechts gerichtet, der König Ramses II. im chepresch-Helm mit über die Schultern fallenden Stoffbändern. Zusätzlich zu der geringelten und vor der Stirn des Herrschers sich aufrichtenden Uräusschlange sitzt auf der Seitenkerbe des Helmes eine weitere Kobra mit der weissen, oberägyptischen Krone. Der König trägt eine einfache Perlenkette, Armbänder, den Tierschwanz, den plissierten, geknoteten Schurz, der hinten bis zur Wade reicht und vorne bis über die Knie hochkommt. Darüber fällt ein weites, durchsichtiges Gewand mit kurzen Ärmeln. Die Füße stecken in langen Sandalen, die Fußknöchel, die Zehen des rechten Fußes und die Muskulatur des linken Beines sind deutlich markiert. Auf Kopfhöhe vor ihm stehen seine Kartuschen: «Der Herr der Beiden Länder, Usermaatre, der von Re Auserwählte, der Herr der Kronen, Ramses, der von Amun und Re Geliebte». Hinter ihm befindet sich, im oberen Teil etwas schräg geschrieben, die traditionelle Schutzformel: «Der mit Leben, Dauer und Herrschaft Beschenkte, wie Re, ewiglich». Die Aussage der Darstellung drückt sich durch den Gestus des Herrschers aus. In seiner Rechten hält er eine auf der Schulter aufliegende Streitaxt, mit der Linken packt er einen gefesselten Feind, der ihm den Rücken zuwendet. Die noch erhaltenen Gesichtszüge, der große Ohrring und die aus geflochtenen, eng anliegenden Zöpfchenreihen bestehende Haartracht, welche den Vorderkopf freilässt, kennzeichnen den Mann als Nubier. Er trägt einen kurzen Schurz mit einem aus Kreisen und Tupfen bestehenden Motiv, vielleicht ein Fell, und einen Gurt, aus dem ein langes, gemustertes Band herabhängt. Die geballte Faust des Pharao liegt auf dem Kopf seines Feindes, als würde er ihn am Schopf fassen, und seine Macht drückt sich in der geknickten, stolpernden Haltung des Mannes aus. Über der Hand des Königs erscheinen zwei Schleifen der Fesseln, ein weiterer Strick endet gleich davor in einer Lilienblüte. Rückseite: In der oberen Hälfte befindet sich, nach links blickend, ein Königskopf mit Löckchenperücke und geflochtenem Königsbart, der am Hals von einer Perlenkette abgeschlossen wird. Der Stirnuräus, dessen Windungen noch sichtbar sind, ist weggebrochen. Die Gesichtszüge sind klar umrissen: ein großes Auge mit deutlich reliefiertem Oberlid, die typisch ramessidisch gebogene Nase und breite Lippen. Der Hals weist zwei kleine Fältchen auf, die seit der Amarnazeit öfters in der frühen Ramessidenzeit sehr regelmäßig dargestellt sind. In der unteren Hälfte dieser Fläche ist das nach rechts blickende Haupt einer Löwengöttin dargestellt. Das Profil des Löwengesichtes ist mit einer straffen, sicheren Linie umrissen. Der Kopf trägt eine breite Strähnenperücke, aus der oben das Ohr hervorragt und die vorne von hervortretenden Mähnenhaaren eingefasst ist. Über den Schultern liegt ein aus drei Perlenrängen bestehender Schmuckkragen.

Diskussion:

 Die detailreiche Tracht des Feindes deutet vielleicht darauf hin, daß es sich um einen nubischen Häuptling oder Fürsten handelt. Die Lilienblüte wie auch die Fesseln, welche die Arme zusammenknoten, sind das «Wappenzeichen» des Südens, das den Gefangenen ganz allgemein als Vertreter und Sinnbild der unterworfenen Südländer charakterisiert. Der Gestus des «Niederschlagens der Feinde» kommt in verschiedenen mehr oder weniger dramatischen Varianten vor. Bekannt sind die riesigen, oft stark aktionsgeladenen Darstellungen auf Pylonen und Außenwänden von Tempeln. Die hier vertretene, wesentlich statischere Darstellungsform, die erst ab Ramses II. belegt ist, kann als «Präsentieren der Feinde» und als Verbildlichung des ägyptischen Ausdruckes «in der Faust seiner Majestät» gedeutet werden (Schoske 1994: 229-241). Die Szene kommt sowohl in Tempelreliefs (im Ramesseum und in Medinet Habu) als auch auf einem großen Ostrakon (Daressy 1901: 23, Nr. 25, 119, Taf. 23), einer Stele (die wohl ramessidische Stele Turin CG 50121, die Amenhotep I. darstellt und fast identische Ausmaße besitzt wie das hier besprochene Stück: Tosi/Roccati 1972: 139, 312), auf Schmuckstücken, Skarabäen und Mumienamuletten (von Lieven 2000: 103-108, Taf. 19, 20) vor. Das Bild des Königs, der den allgemein feindliche Mächte vertretenden Nubier fest im Griff hat, war Ausdruck der gesicherten Weltordnung. Der Herrscher kam seiner Aufgabe als Schützer Ägyptens effizient nach. Diese Aussage des Bildes galt aber offensichtlich nicht nur für den politisch-kosmischen Bereich der Tempel, sondern ebenfalls für den Einzelmenschen, wie dies kleine, für den persönlichen Gebrauch vorgesehene Gegenstände zeigen. In spätramessidischer Zeit wurden kleine, stelenförmige Holzamulette mit dieser Szene an Mumien genäht, um auch im Jenseits feindliche Mächte abzuwehren. Die Darstellung des Königs, der einen Feind niederschlägt, diente auch dem Einzelnen als Schutz vor potentiellen Gefahren und verlieh ihm das Gefühl von Sicherheit. In Anbetracht der vollständigen Bildkomposition, der gepflegten Ausführung und der Verwendung der Rückseite, könnte das vorliegende Stück eine Künstlervorlage für die Wiedergabe dieses unter Ramses II. noch ganz neuen Szenentyps gewesen sein. Ein solches Bild half dem Umrisszeichner oder dem Steinschneider die Szene auf eine Tempelwand zu übertragen. Aufgrund der oben abgerundeten Form könnte das Stück jedoch auch als eine kleine Stele benutzt worden sein. Eine solche Stele könnte, in einem Hausschrein aufgestellt, in Verbindung mit der zum Beispiel in Der el-Medina weitverbreiteten Verehrung des Herrschers Ramses II. gestanden haben. Es könnte gleichzeitig Kultobjekt und Schutzspender gewesen sein. Das Königsporträt gehört zu den häufigen Motiven auf Bildostraka und Bildhauerstudien. Der weitaus größte Teil dieser Objekte stammt aus Deir el-Medina oder jedenfalls aus dem Raum Theben. Mit roter oder schwarzer Farbe skizzierte Königsköpfe sind relativ häufig belegt (Skizzen des Königs auf Ostraka, z. B. Daressy 1901: Taf. 1-5, 29-30; Vandier d’Abbadie 1937: 113-121, Taf. 69-76; Brunner-Traut 1979: Taf. 7-11), reliefierte Beispiele, wie dieses, sind weitaus seltener (Jacquet 1971: 278, Taf. 44). Sethos I. stellt wohl ein aus Saqqara stammendes Stück in Kairo [JE 47777] dar. Eher in die zweite Hälfte der Ramessidenzeit gehören die Ostraka in London [Stewart 1976: 6, Taf. 52.1] und Turin, [7051]). Aus dem Tempelbezirk von Karnak-Nord stammt ein Lehrstück, das in Kopftracht, Gesichtszügen und Ausführung mit dieser Studie viel Gemeinsames hat, wo aber der angehende Künstler daneben noch den Namen Amenhotep übte (Bickel 2004: Abb. 6d). Die Rückseite handelt sich um ein Übungsstück oder um eine Vorlage für die Darstellung einer Löwengöttin, Sachmet oder Weret-hekau, die in Tempeln ramessidischer Zeit in Opferszenen entweder unabhängig oder zusammen mit Ptah verehrt wurden und auch in Krönungsszenen eine wichtige Rolle spielten. Ähnlich wie auf der Vorderseite, wo in einem emblematischen Bild die Macht des Königs dargestellt wird, könnte auch auf der Rückseite die Verbindung von Königskopf und löwengestaltiger Krönungsgöttin Ausdruck der Herrscherkraft sein. Ein zeitgleiches und thematisch verwandtes Vergleichsstück bietet ein Stelenpektoral aus Steatit, eine gut 10 cm hohe, zum Umhängen bestimmte Stele, auf deren Vorderseite Ramses II. mit einer Keule einen Asiaten erschlägt. Auf der Rückseite steht der König zwischen den Göttinnen Nechbet und Wadjet, den beiden Repräsentantinnen der Landeskronen (Schulz 1996: 306-314). Die Themen Niederschlagen der Feinde und Krönung des Königs verbinden sich also auch in diesem stelenförmigen Objekt. Übungsstück, Künstlervorlage oder Kultobjekt zur Feindabwehr und Königsverehrung? Das Stück könnte auch nacheinander mehrere dieser Funktionen besessen haben. Die sorgfältige und detailreiche Ausführung des Reliefs deutet jedenfalls darauf hin, daß diese Tafel für ihren Besitzer und Benützer – vermutlich einen Bildhauer – von Bedeutung und Wert gewesen sein muss. [ergänzter Text von Keel/Staubli 2001: Nr. 80: Mehrere Göttinnen konnten in Gestalt einer Löwin abgebildet werden; die bekannteste unter ihnen ist Sachmet, «die Mächtigste». Oft wurden diese Göttinnen nicht ganz in Löwengestalt, sondern, wie auf dem vorliegenden Bildhauerlehrstück, als Frau mit Löwinnenkopf dargestellt. Die Löwengestalt ist Ausdruck besonderer Kraft und verleiht den entsprechenden Göttinnen die Rolle überaus effizienter Schutzherrinnen. Im Falle der Sachmet gewinnt diese Macht aber auch eine gewisse Ambivalenz, ist sie doch gleichzeitig Verursacherin und Heilerin von Krankheit.] [Autor der Ergänzung: Susanne Bickel.

Parallelen:

Hoenes 1976: 13-19.

Bibliographie:

Schlögl 1978: 69; Christie’s 1998: 50f, lot 88; Keel/Staubli 2001: 83-85, Nr. 80; Keel/Staubli 2003: 86, Nr. 78; Bickel 2004: 32-35, Nr. 6; Keel/Schroer 2004: 158f, Nr. 134; Keel et al. 2007: 20, Nr. 3; Keel 2008: 97, Nr. 116.

DatensatzID:

944
  

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