Objekt:

 Stele, Kalkstein, 0,11 x 1,8 m.

Datierung:

 FD IIIA (2470).

Herkunft:

 Girsu, Zwei Stücke am Fuße von Tell K in einem Graben zwischen Tell I und I‘, ein Stück wurde im Palast wiederverwendet.

Sammlung:

 Paris, Louvre Museum/London, British Museum, BM 23580.

Darstellung:

 Die sog. Geier- oder Eannatumstele (Börker-Klähn 1982: 124f) ist ein sumerischer Grenzstein mit dem Charakter eines Staatsvertrags. Das Monument ist aus Fragmenten rekonstruiert, nicht vollständig und nicht in allen Details unbestritten (vgl. schon Barrelet 1970). Dennoch ist es zweifellos das älteste Dokument Vorderasiens, bei dem Bildgeschehen und ein fortlaufender Text (Kaiser 1982-2001: 1, 300-308) interferieren – ohne parallel zu laufen – und beide von historischen Ereignissen «erzählen» (ausführliche Diskussion bei Winter 1985; abgebildete Rekonstruktion nach Winter).
Der Hintergrund der Ereignisse sind anhaltende Konflikte zwischen dem Stadtstaat Umma und den verbündeten Städten Lagasch und Girsu um die Nutzung des unbesiedelten, aber landwirtschaftlich bedeutenden Landes zwischen den Stadtgebieten und die Wasser- bzw. Kanalrechte in diesem Gebiet. Die Stele ist hoch ideologisch in ihrer Erzählabsicht, denn sie legitimiert den Zugriff Eannatums (zur Geschichte dieses Herrschers Bauer 1998: 456-466) auf das Hinterland der Städte aus der Perspektive des Siegers. Der Fundort der Fragmente und Hinweise auf die Widmung der Stele an Ningirsu machen es wahrscheinlich, dass der Sieger sie als Zeugnis der Ereignisse, der errungenen politischen Neuordnung und ihrer eidesstattlichen Anerkennung durch die Besiegten sowie als Votivgabe für seinen göttlichen Protektor ursprünglich im Tempel des Ningirsu in Girsu aufstellen ließ. Die Geierstele ist ein monumentales Bildwerk. Text und Bildprogramm richten sich an eine größere Öffentlichkeit. Sie geben Zeugnis ab von der Überlegenheit eines Herrschers.
Auf der Vorderseite hält eine große Gestalt, wahrscheinlich der Stadtgott von Girsu, Ningirsu, ein Netz (Heintz 1965; Reallexikon der Assyriologie: 9,241) voll nackter Feinde, um sie mit der Keule zu erschlagen. Den Abschluss des Netzes bildet sein Symbol, der mythische Anzu (Schroer/Keel 2005: Nr. 185, 199, 236). Ein weiteres Fragment (links) zeigt eine Gottheit mit Keulen als Schulterattribut, die von einer Anzu-Standarte begleitet wird. Es könnte sich um Ninḫursaga, die göttliche Mutter Ningirsus, oder Bawu, die Gemahlin Ningirsus, handeln. Im unteren Bildfeld sind nur noch Reste einer Wagenszene erhalten, in der möglicherweise dieselben beiden Gottheiten dargestellt waren.
Das kriegerische Geschehen auf der Rückseite bleibt im Bereich des Irdischen. Im untersten, kaum erhaltenen Bildfeld scheint eine kriegerische Szene eingraviert gewesen zu sein. Im Bildfeld darüber sind Arbeiter mit dem Zuschütten von Leichenhaufen beschäftigt. Bei den nackten Leichen handelt es sich um die besiegten Feinde. Gemäß der Inschrift wurden 3600, d.h. unendlich viele, Gefallene auf zwanzig Leichenhügeln zusammengetragen. Ein nackter Priester bringt eine Libation vor einem Thronenden oder Stehenden, wahrscheinlich Eannatum, dar. Diese Szene könnte sich auch auf die positive Orakelauskunft beziehen, die Eannatum gemäß Inschrift vor der Schlacht im Tempel von Ningirsu erhielt. Der Gott autorisiert den Feldzug und garantiert seinen Erfolg. Eannatum greift zu den Waffen. Im Fries darüber marschieren Krieger hinter dem Streitwagen des Königs her. Eannatum zielt mit dem Speer auf die Gegner. Im oberen Teil rücken die mit Schild und Speer bewaffneten Truppen von Lagasch in einer Zwölferphalanx geschlossen vor (drei Gestalten auf dem Rand der Stele), wobei sie über die Leichen der Feinde schreiten. An ihrer Spitze zieht, übergroß dargestellt, Eannatum in die Schlacht. Die Darstellung der Gegner ist nicht erhalten, doch ist ganz rechts ein Haufen Gefallener erkennbar. Zuoberst tragen Geier, die der Stele ihren modernen Namen gaben, abgeschlagene Köpfe von feindlichen Ummaitern im Schnabel.
Die erhaltenen Teile der Stele zeigen, dass die dargestellten kriegerischen Ereignisse eine religiöse Dimension hatten, vergleichbar der mythisch-historischen Dimension ägyptischer Dokumente wie der Narmer-Palette. Der Stadtgott von Lagasch ist es, der die Feinde besiegt und gemäß der Widmung der Stele «Herr der Krone Lummas» ist. Der König handelt als beauftragter Vertreter des Gottes. Die Vorder- und die Rückseite der Stele ergänzen sich in ihrer Aussage, indem die Vorderseite den mythisch-religiösen Hintergrund der Ereignisse festhält, die auf der Rückseite in ihrer irdischen Dimension dargestellt sind. Gott und König werden vom Bildprogramm gleichermaßen ins Zentrum gerückt. Eannatum, der seine Macht gegen das feindliche Umma behaupten konnte, gelangt so zu einem fast göttergleichen Status. Die Inschrift erzählt in der Vorgeschichte von der Zeugung Eannatums durch den Gott Ningirsu, von seiner göttlichen Geburt und der Übertragung des Königtums von Lagasch an ihn. So ist Eannatum der erste Herrscher von Lagasch, der sich auf seine Gottessohnschaft und seine göttliche Geburt beruft. Innenpolitisch dürfte diese Botschaft ein deutliches Signal der Stärkung der dynastischen Staatsmacht gegenüber der älteren theokratischen Hierarchie gewesen sein. Erst die Herrscher von Akkad haben dann den letzten Schritt zur eigentlichen Vergöttlichung des Königs vollzogen (Schroer/Keel 2005: Nr. 246).

Parallelen:

Woolley 1934: 61f, 266f, pl. 92: die Mosaikstandarte vom Königsfriedhof in Ur (2550–2400) zeigt auf der sog. Kriegsseite Wagenkämpfe und den Angriff der Infanterie; nackte, gefesselte Gefangene werden vor den Herrscher geführt; Pritchard 1954: no. 303: die Mosaikstandarte vom Königsfriedhof in Ur (2550–2400) zeigt auf der sog. Kriegsseite Wagenkämpfe und den Angriff der Infanterie; nackte, gefesselte Gefangene werden vor den Herrscher geführt; Strommenger/Hirmer 1962: 67: die Mosaikstandarte vom Königsfriedhof in Ur (2550–2400) zeigt auf der sog. Kriegsseite Wagenkämpfe und den Angriff der Infanterie; nackte, gefesselte Gefangene werden vor den Herrscher geführt; Aruz et al. 2003: 98f, no. 52: die Mosaikstandarte vom Königsfriedhof in Ur (2550–2400) zeigt auf der sog. Kriegsseite Wagenkämpfe und den Angriff der Infanterie; nackte, gefesselte Gefangene werden vor den Herrscher geführt; Orthmann 1975: 191, pl. 8: die Mosaikstandarte vom Königsfriedhof in Ur (2550–2400) zeigt auf der sog. Kriegsseite Wagenkämpfe und den Angriff der Infanterie; nackte, gefesselte Gefangene werden vor den Herrscher geführt; Börker-Klähn 1982: 129, no. 19: ein Netz mit Gefangenen auf einer Siegesstele Sargons; Orthmann 1975: no. 100: ein Netz mit Gefangenen auf einer Siegesstele Sargons; Bonatz et al. 1998: 61, fig. 21: vgl. auch die rekonstruierte Panele von Mari bei Schroer/Keel 2005: Nr. 174; aus Gebelet el-Beda in Syrien stammt eine offenbar verlorene Stele (H 345) mit einem Mann im Zottenrock, der über zwei bewaffnete Krieger schreitet; die Stele wurde in einer Anlage mit weiteren Stelen und Statuen in den flachen Bergen der sog. Kranzhügelkultur gefunden.

Bibliographie:

Pritchard 1954: no. 300; Strommenger/Hirmer 1962: pls. 66-69; Parrot 1962a: Abb. 164; Moortgat 1967: pls. 118-121; Barrelet 1970: 240, fig. 8a; Orthmann 1975: 189f, pls. 89a-91; Börker-Klähn 1982: 124f, no. 17; Winter 1985: figs. 1-4:8; Aruz et al. 2003: 190f, figs. 52-53; Schroer/Keel 2005: 336f, Nr. 242.

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33618

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