Objekt:

 Figurine, Bronze, 5 x 20,5 cm.

Datierung:

 Ptolemäische Zeit (306-30).

Herkunft:

 Ägypten.

Sammlung:

 Fribourg, Sammlungen BIBEL+ORIENT, ÄFig 1995.1.

Darstellung:

 Die sitzende Göttin trägt wie bei Keel/Schroer 2004: Nr. 174 einen imposanten Kopfschmuck. Er besteht aus einer dreiteiligen Strähnenperücke, die teilweise von einem Geierbalg bedeckt wird, der aber an Stelle eines Geierkopfs in das auf der Stirne von Gottheiten übliche Kobravorderteil ausläuft. Auf dem Kopf sitzt ein Kranz von Kobras (Uräen), aus dem sich ein massives, überproportioniertes Kuhgehörn erhebt, das die Sonne trägt. Kuhgehörn mit Sonnenscheibe hat Isis von der Himmels- und Kuhgöttin Hathor übernommen hat (Keel/Schroer 2004: Nr. 31, 32, 33, 34, 127, 148, 149, 174). Das im Vergleich zu Keel/Schroer 2004: Nr. 174 schmale Gesicht ist sorgfältig ausgearbeitet. Die Ohren werden auch hier von der Perücke nicht verdeckt und sind überproportional groß. Vielleicht soll ihre Fähigkeit zu hören und zu erhören betont werden (vgl. Keel/Schroer 2004: Nr. 199). Zwischen den beiden vorderen Strähnen der Perücke ist ein mehrteiliger Halskragen zu erkennen. Trotz des Gewandes, das die Göttin grundsätzlich bekleidet, sind Details ihrer Anatomie, wie etwa der Nabel, deutlich zu sehen. Das enganliegende, bis zu den Knöcheln reichende Kleid lässt beide Brüste frei. Die Hand des angewinkelten rechten Arms reicht dem Kind die linke Brust. Die Linke stützt den Kopf des auf ihrem Schoß sitzenden Kindes. Dieses ist bis auf die enganliegende Kappe mit dem Uräus und den Halskragen nackt. Die Seitenlocke charakterisiert das als kleiner Erwachsener dargestellte Wesen als Kind. Die Inschrift [ergänzter Text von Keel/Staubli 2001: Nr. 11: ... die von links nach rechts über die Vorderseite und die rechte Sockelseite hin zur Rückseite läuft] auf dem Sockel lautet: «Isis möge Leben geben der Paris [ergänzter Text von Keel/Staubli 2001: Nr. 11: ... Perjs ... Der Personennamen Per(j)..s ist nicht als ägyptisch belegt; es handelt sich wahrscheinlich um einen griechischen Namen: Pariı (Pareiı)], der Tochter des Dschedbastet?, geboren von Dschedhapi ...». Die vorliegende Figur wurde sehr wahrscheinlich in einen Tempel gestiftet als Bitte um eine glückliche Mutterschaft oder als Dank für eine solche (vgl. weiter den Kommentar nach Keel/Schroer 2004: Nr. 174).

Diskussion:

 Ab der hellenistischen Zeit fand der Isiskult im ganzen Mittelmeerraum weite Verbreitung. In römischer Zeit war er eine der erfolgreichsten Mysterienreligionen (Tinh 1973; Arslan 1997: 89-589). Das u. a. vom Bild der stillenden Isis abhängige Bild der christlichen Gottesmutter Maria (Langener 1996) verdrängte von der Spätantike bis zur Renaissance das Bild der erotisch attraktiven Frau und Göttin für tausend Jahre fast ganz. In Anknüpfung an ältere ägyptische Vorstellungen sagt Plutarch (ca. 45-120 n. Chr.) in seiner Schrift über Isis und Osiris (Kap. 38), Isis sei die Erde, soweit sie der Nil als Flut des Osiris befruchtet. Im Mittelalter wurde sie u. a. als Gärtnerin gefeiert. Ab der Renaissance identifizierte man Isis mit der als vielbrüstig verstandenen Artemis von Ephesus, um sie im 18.-19. Jh n. Chr. zu einem Symbol der Natur schlechthin zu machen, dessen Schleier die Naturwissenschaften lüften (Patrizia Castelli, in: Arslan 1997: 598-617; Staehelin 1997a). [ergänzter Text von Keel/Staubli 2001: Nr. 11: Die enge Verbindung der Isis mit Osiris (vgl. Keel/Staubli 2001: Kat. 55), zugleich Bruder und Gatte, definierte ihre Hauptfunktionen: Den Tod des Osiris zu beklagen und zu beweinen, ihn zu beleben und zu schützen (vgl. Keel/Staubli 2001: Kat. 91). Weiter nimmt sie als Mutter des Horus (vgl. Keel/Staubli 2001: Nr. 92) die Rolle der Muttergöttin ein, der stillenden Gottesmutter. Ihr Kopfschmuck, das Thronzeichen, gilt als kennzeichnendes Attribut. Vom Mittleren Reich an trug sie auch den Kopfputz der Hathor: Kuhgehörn und Sonnenscheibe. Die religiöse Vorstellung der Muttergottheit hatte sich im Niltal primär nicht aus der menschlichen Sphäre von Mutter und Kind entwickelt, sondern ging von der Mutterkuh aus, die wahrscheinlich aus dem Weltbild vorgeschichtlicher Viehzüchter stammt. Die bekannteste und bereits früh belegte Kuhgöttin ist Hathor (vgl. Keel/Staubli 2001: Nr. 57, unteres Register). Gemäss einem Spruch der Pyramidentexte war sie es, die den König stillte. Das Stillen galt nach ägyptischer Vorstellung als Inbegriff und Garant des Lebens. Das Motiv von Mutter und Kind begegnet seit dem Alten Reich. Rundplastische Darstellungen der thronenden Gottesmutter (vornehmlich Hathor und Isis), die ihr Kind stillt, lassen sich jedoch erst seit der Dritten Zwischenzeit (1070-664 v. Chr.) belegen und finden in der Spätzeit grosse Verbreitung. Diese Ikonographie bildet die Vorlage für das abendländische Bild der christlichen Madonna lactans. Die vorliegende Figur ist als Weihgabe anzusehen, die den Dank für eine glückliche Geburt oder die Bitte um Unterstützung an Isis ausspricht.] [Autor der Ergänzungen: Madeleine Page Gasser.

Parallelen:

Roeder 1956: 247-259, Taf. 36:d-f, k-m; Keel/Schroer 2004: Nr. 174, 206.

Bibliographie:

Keel/Uehlinger 1996: 160f; Galliker/Spörri/Stärk 1998: 46f; Genoud 1998: 36f; Keel/Staubli 2001: 36f, Nr. 11; Page Gasser 2001: Nr. 16; Keel/Staubli 2003: Nr. 11; Keel/Schroer 2004: 234f, Nr. 217; Ramseyer et al. 2004: Nr. 065; Keel et al. 2007: 27, Nr. 10a; Keel 2008: 72, Nr. 79.

DatensatzID:

904

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