Objekt:

 Rollsiegel (schwach konkaver Zylinder), Lapislazuli (§ 379-380), 28,5 x 15 mm.

Datierung:

 Späte Akkad-Zeit-Beginn Ur III (2154-2112).

Herkunft:

 Südmesopotamien.

Sammlung:

 Fribourg, Sammlungen BIBEL+ORIENT, VR 1981.64.

Darstellung:

 Einführungsszene vor thronender Göttin, viergliedrig: gleich wie Keel-Leu/Teissier 2004: Nr. 96 mit zusätzlicher fürbittender Göttin, die beide Arme erhebt. Die einführenden Göttinnen tragen die mehrfache Hörnerkrone, die Thronende ein einfaches Hörnerdiadem, unter dem ein Zopf über die Schulter herabfällt. In der vorgestreckten Rechten hält sie einen beutelähnlichen Gegenstand, Aryballos? Die Falbelgewänder der Göttinnen sind mit dreifach gebündelten Längsstrichen versehen und bedecken bei der fürbittenden und der thronenden Göttin beide Schultern. Eine tiefe, keilartige Einkerbung verläuft vom Ohr der beiden Letzteren auf die Brust herunter. Über die freie rechte Schulter der einführenden Göttin führen zwei Träger. Alle Göttinnen sind mit einer mehrfachen Halskette und einem doppelten Armreif geschmückt. Der Beter trägt das vorn offene, ein Bein freilassende Fransen-/Togagewand, von dem die rechts herunterfallende Fransenborte kaum erkennbar ist. Eine stilisierte Haartracht (oder Kappe?) bedeckt seinen Kopf, ein kurzer spitzer Bart sein Kinn. Spuren einer Inschrift (?).

Diskussion:

 Das Siegel weist eine Reihe aussergewöhnlicher Merkmale auf: – Die zusätzliche fürbittende Göttin kommt vor thronender Göttin äusserst selten, vor männlichen Gottheiten selten vor; nach Hausspergers Untersuchungen (Haussperger 1991: 168) handelt es sich dabei um Siegel von Fürsten und hohen Beamten. – Eine gleich stilisierte Haartracht mit Bart zeigt der Beter nur noch auf dem Siegel mit Erwähnung Gudeas, Porada 1948: Nr. 274 (von Fischer C. 1996: 216 Anm. 3 als eventuelle Fälschung betrachtet, da sie aus dem Handel stammen (?). Leider sind aus der Zeit des Gudea keine gesiegelten Texte aus Lagaß belegt, s. Fischer C. 1996) (auf den oben erwähnten Abrollungen ist wohl die Form, nicht aber eine eventuelle Innenzeichnung zu erkennen). Eine entsprechende Haartracht findet sich auf Rundbildern, so auf einer Statue Ur-Ningirsus, Sohn Gudeas, Parrot 1962a: Abb. 267, und auf Flachbildern, so auf der Ur-Nammu-Stele und auf einem dem Kreis Gudeas zugehörigen Stelenfragment: Börker-Klähn 1982: Taf. G und Nr. 55; zum Thema Haartracht s. Strommenger 1960: 67. – Die einführende Göttin trägt vor einer Göttin in der Regel das Faltengewand, selten das Falbelgewand. Mit zusätzlicher mehrfacher Hörnerkrone erscheint sie höchstens vor einem Gott, Keel-Leu/Teissier 2004: Nr. 97, oder vor dem Gottkönig, Keel-Leu/Teissier 2004: Nr. 105, niemals vor einer Göttin mit einfacher Hörnerkrone. – Die thronende Göttin hält nur in Ausnahmefällen einen Gegenstand in der Hand. Ebenso ist das beide Schultern bedeckende Falbelgewand bei der Profildarstellung eine Ausnahme. Für ein Beispiel auf einem Flachbild s. Parrot 1962a: Abb. 287. Das über die Schulter herabfallende Haar – ein Überbleibsel aus der Akkad-Zeit, s. Keel-Leu/Teissier 2004: Nr. 73, 81 – kommt nur noch vereinzelt vor, bei der einführenden Göttin auch auf einem Siegel mit Erwähnung Gudeas: Buchanan 1981: Nr. 538 (von Fischer C. 1996: 216 Anm. 3 als eventuelle Fälschung betrachtet, da sie aus dem Handel stammen (?). Leider sind aus der Zeit des Gudea keine gesiegelten Texte aus Lagaß belegt, s. Fischer C. 1996). Vgl. auch die Rund- und Flachbilder Parrot 1962a: Abb. 273-274 und 287, auf denen die Thronende das Haar offen trägt und einen Aryballos in der Hand hält, ebenso die en face-Darstellungen auf Siegeln, die stets zwei oder vier Haarsträhnen bzw. Zöpfe zeigen. Auf eine zusätzliche Haarsträhne scheint auch der keilförmige Gegenstand längs des Halses hinzudeuten, der sonst nur auf en face-Siegeldarstellungen zu beobachten ist, im Übrigen auf akkadzeitliche Darstellungen zurückgeht, s. Boehmer 1965: Abb. 387, am besten aber mit der thronenden Göttin auf der Ur-Nammu-Stele verglichen werden kann, bei der er auch, wie auf unserem Stück, mit der für weibliche Göttinnen üblichen S-förmigen Frisur kombiniert wird; vgl. ferner die Göttin im Profil mit einem über die Schultern und einem senkrecht bis zur Brust herabfallenden Zopf auf dem akkadischen Siegel Boehmer 1965: Abb. 547. Nach Boehmer 1965: 69 ist die Stilisierung des Falbelgewandes mit gebündelten Längsstrichen bereits zur Akkad-Zeit erfunden worden, s. Boehmer 1965: Abb. 389, 504 und Nr. 1492 = Buchanan 1966: Nr. 385; typisch ist sie auf altbabylonischen Siegeln aus Sippar, s. Keel-Leu/Teissier 2004: Nr. 125. – Das Fehlen jeglicher Symbole und der Inschrift, die wahrscheinlich abgeschliffen wurde. – Das kostbare und dementsprechend selten verwendete Material: Nur neun der 447 von Haussperger 1991 untersuchten Ur III-zeitlichen Einführungsszenen sind aus Lapislazuli gefertigt, s. Haussperger 1991: 197. – Die perfekte, jedes Detail genau wiedergebende Schneidetechnik, die sich vor allem in der Durchmodellierung der Gesichter und der sorgfältig gezeichneten Ohren und Finger sowie des jetzt neu von den Göttinnen getragenen Hals- und Armschmuckes zeigt. Als Datierungskriterien können verwendet werden: – Die Haartracht mit Bart des Beters, die ihre genaue Ensprechung auf Denkmälern der Gudea-Zeit (Die Frage, ob Gudea vor oder zeitgleich mit Ur-Nammu, dem ersten König der III. Dynastie von Ur, anzusetzen ist, steht immer noch zur Diskussion, s. Edzard 1997: 3.) findet und eine Weiterführung akkadzeitlicher Darstellungen ist, vgl. Keel-Leu/Teissier 2004: Nr. 70, 77; der typische Ur III-zeitliche Beter ist kahl und bartlos. – Das vorn aus dem geöffneten Fransen-/Togagewand hervortretende Bein des Beters, das erstmals auf einer Siegelabrollung mit Erwähnung Pirigmes zu beobachten ist, s. hierzu Strommenger 1960: 69. Zur neuen Ansetzung Pirigmes schon vor Ur-Bau bzw. vor Gudea s. Dittmann 1994: 99 Anm. 74. – Das Fransen-/Togagewand mit drei in grossem Bogen über die Brust verlaufenden Falten, das erstmals auf Siegeln aus der Zeit Šulgis belegt ist, s. Strommenger 1960: 71, s. aber das evt. zur Ur-Bau-Ur-Ningirsu-Gruppe gehörige Siegel mit gleichem Gewandtyp Collon 1982: 110 Nr. 440. – Die zusätzliche fürbittende Göttin: Sie kommt im vorliegenden nach rechts gerichteten Schema ab Gudea (Die Frage, ob Gudea vor oder zeitgleich mit Ur-Nammu, dem ersten König der III. Dynastie von Ur, anzusetzen ist, steht immer noch zur Diskussion, s. Edzard 1997: 3) vor: Delaporte 1920/23: Taf. 10:8, 10 Tellō. Sie ist nach Haussperger 1991: 170 21-mal unter Šulgi, neunmal unter Amar-Suena (pp. 178f.) und nur noch je zweimal unter den beiden letzten Ur III-Königen belegt (pp. 184, 191). – Die Thronform auf Podest ist typisch für die Ur III-Zeit, kommt aber schon in der Akkad-Zeit vor s. o. und Boehmer 1965: Abb. 549. – Ferner ist zu bemerken, dass die Profildarstellung mit Zopf und einfachem Hörnerdiadem direkt an akkadzeitliche Darstellungen anschliesst; das Gleiche gilt für die Schneidetechnik; vgl. auch die Physiognomie der Thronenden mit Akkad-Siegeln wie Boehmer 1965: Abb. 382, 384 (stehende Göttin links, bzw. rechts aussen); Buchanan 1966: Nr. 385 (einführende Göttin), sowie die oben erwähnten akkadzeitlichen Parallelen. – Hals- und Armschmuck sind nach Haussperger 1991: 156 erstmals auf postakkadischen Siegeln belegt. Schliesslich können die verschiedenen von der standardisierten Ur III-zeitlichen Norm abweichenden Merkmale auf eine frühe Entstehung hinweisen. Das Siegel kann als Übergangsstück von der Akkad-Zeit zur Ur III-Zeit angesprochen werden. [ergänzter Text von Keel/Schroer 2004: Nr. 49: Die sumerisch Lama oder Lamma, akkadisch Lamassu (vgl. Keel/Schroer 2004: Nr. 49a) genannte Schutzgöttin ist sehr typisch für die altbabylonischen Rollsiegel (19.-17. Jh. v. Chr.), auf denen sie zusammen mit dem König bzw. Gott mit der Keule zu den am häufigsten dargestellten Figuren gehört. Lediglich auf drei der insgesamt vierzehn altbabylonischen Siegeln der Sammlungen BIBEL+ORIENT ist sie nicht vertreten. Sie wurde unverändert aus dem Repertoire der vorangehenden Epoche übernommen. Zahlreiche Belege stammen aus der Ur III-Zeit (vgl. Keel-Leu/Teissier 2004: Nr. 97; vgl. die Stelen Gudeas und Urnammus) und wie das vorliegende Beispiel zeigt, reicht sie wahrscheinlich sogar in die ausgehende Akkadzeit zurück (vgl. dazu auch Suter 2000: 67). In den frühaltbabylonischen Audienzszenen wird sie kanonisch (Suter 2000: Nr. 113-115) und bleibt als einziges Bildmotiv lückenlos durch die ganze altbabylonische bis in die kassitische Zeit erhalten (al-Gailani Werr 1988: 45). Ihrem Namen entsprechend ist ihre Rolle jene einer Fürsprecherin, Begleiterin und Beschützerin von Gott und Mensch, vorab des Siegelinhabers (Braun-Holzinger 1996: 248). Die Figur der Mittlerin und Fürbitterin hat ihren Platz in stark hierarchisch strukturierten, bürokratischen Gesellschaften. Interessant ist, dass diese Mittlerfigur weiblich ist. Sie bildet zusammen mit der nackten Göttin (vgl. den Kommentar nach Keel/Schroer 2004: Nr. 50) und dem Gott/König mit der Keule (udug; vgl. den Kommentar nach Keel/Schroer 2004: Nr. 54) eine Dreiheit. Vermutlich wurden Figuren einer vergöttlichten entu-Priesterin und eines kriegerischen Königs nicht selten an Tempeleingängen aufgestellt und als Mittler bzw. Mittlerin zu den großen göttlichen Mächten verstanden (Wiggermann 1998: 46). Altbabylonische Rollsiegel mit Lama-Göttinnen sind in Bet Schean gefunden worden (Parker 1949: Nr. 1 und 11.

Parallelen:

Porada 1948: Nr. 274: (von Fischer als eventuelle Fälschung betrachtet, da sie aus dem Handel stammen(?). Leider sind aus der Zeit des Gudea keine gesiegelten Texte aus Lagaš belegt, [Fischer C. 1996: 216, Anm. 3]), gleiche Haartracht mit spitzem Bart des Beters, Erwähnung Gudeas; Frankfort 1955: Nr. 674: = Boehmer 1965: Abb. 389 p. 69 „spät. Akk. III“, Falbelgewänder mit gebündelten Längsstrichen, auf die Brust herabfallender keilartiger Gegenstand bei der thronenden und der fürbittenden Gottin, en face-Darstellung - Asmar; Boehmer 1965: 69, Abb. 389: = Frankfort 1955: Nr. 674; Fischer 1997: Nr. 4: Abrollung, Göttin en face mit überfliessendem Gefäss - Lagaš, Šulgi Jahr 47; Legrain 1951: Nr. 400: Abrollung, zusätzliche fürbittende Göttin in Einführungsszene vor einer Göttin, einführende Göttin im Falbelgewand und mehrfacher Hörnerkrone vor en face dargestellter Ištar mit gleicher Hörnerkrone und im beide Schultern bedeckenden Falbelgewand - Ur, Zeit Ibbi-Sîns; Buchanan 1981: Nr. 564: Abrollung, zusätzliche fürbittende Göttin in Einführungsszenen vor einer Göttin, die Göttinnen tragen mehrfache Halsketten - Zeit Šulgis; Legrain 1951: Nr. 398: auf die Brust herabfallender keilartiger Gegenstand bei der thronenden und der fürbittenden Gottin, en face-Darstellung - Ur; Delaporte 1920: Taf. 10:13 (Abrollung): ein Bein freilassendes Gewand, fürbittende Göttin mit Diadem und Zopf - Tellō, Zeit Pirigmes (Datierung s. „Diskussion“); Collon 1982: 130f, Nr. 337: einführende Göttin im Faltengewand mit mehrfacher Hörnerkrone vor thronender Göttin mit einfacher Hörnerkrone, (an exception); Porada 1948: Nr. 287: Gefäss/Vase in der Hand der Thronenden; Parrot 1954: Nr. 131: Gefäss/Vase in der Hand der Thronenden - Tellō; Buchanan 1981: Nr. 648 (Abrollung): gleiche Haartracht mit spitzem Bart des Beters, Erwähnung Gudeas - Zeit Šulgis; Böker-Klähn 1982: Taf. H: gleicher auf die Brust herabfallender keilartiger Gegenstand bei der thronenden und der fürbittenden Göttin, Darstellung der thronenden Göttin auf der Ur-Nammu-Stele; Boehmer 1966: 373, Abb. 2 (Zeichnung): hinter dem Beter stehende einführende Göttin - „Post-Akkad C = Urbau-Ur-Ningirsu-Gruppe“; Frankfort 1939: Taf. 25j: in drei Bogen über die Brust führendes Schalgewand, Erwähnung Šulgis; Fischer 1997: Nr. 20 (Abrollung): langes, über die Schultern herabfallendes Haar der Thronenden - Šulgi Jahr 47; Parrot 1954: Nr. 145: langes, über die Schultern herabfallendes Haar der Thronenden - Tellō, Ur III; Buchanan 1981: Nr. 681 (Zeichnung): stehende Göttin en face mit vier Zöpfen bzw. Haarsträhnen - Zeit Amar-Suenas, stehende Göttin en face mit vier Zöpfen bzw. Haarsträhnen; Williams-Forte 1981: 97, Abb. 53: thronende Göttin en face mit langem Haar und zwei keilförmigen Einkerbungen längs der Halspartie; Collon 1987: Nr. 119: Thronende in dem beide Schultern bedeckenden Falbelgewand und mit auf die Schultern herabfallendem Haar, ausserdem hält sie einen Gegenstand in der Hand, trägt aber die konventionelle weibliche Haartracht - Mari, Vizekönig Iddin-El (ca. 2090-2085); Collon 1987: Nr. 530: Thronende in dem beide Schultern bedeckenden Falbelgewand und mit auf die Schultern herabfallendem Haar, Erwähnung Narām-Sîns (gleich stilisierte Stoffbahnen – gleicher Thron auf Podest!); Legrain 1951: Nr. 400: thronende Ištar en face; Collon 1987: Nr. 531: zusätzlich fürbittende Göttin in Einführungsszene vor einem Gott, Siegel Gudeas von Lagaš; Parrot 1954: Nr. 148: zusätzliche fürbittende Göttin in Einführungsszene vor einer Göttin, fürbittende Göttin mit herabhängendem Zopf, Hauptgöttin auf mit Löwen verziertem Thron - Tellō; Porada 1948: Nr. 287: zusätzliche fürbittende Göttin in Einführungsszene vor einer Göttin, Thronende hält Vase in der Hand.

Bibliographie:

Borowski 1947: 141f, Suisse 36; Collon 1987: 149, no. 643; Keel/Uehlinger 1996: Taf. 1b; Keel-Leu/Teissier 2004: 81-84, Nr. 99; Keel/Schroer 2004: 95, Nr. 49; Keel et al. 2007: 43, Nr. 23; Keel 2008: 44, Nr. 36.

DatensatzID:

294

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